NIEMEYER RELOADED

Wohnungsumbau im Oscar-Niemeyer-Haus, Berlin

Umbau einer Wohnung des grossen brasilianischen Baumeisters Oscar Niemeyer.

Es gibt in Berlin kaum eine zentraler gelegene Wohngegend als das Hansaviertel. Als einziges Quartier, das sich innerhalb des Tiergartens befindet, liegt es zwar in Gehdistanz und bloss wenigen U-Bahn-Minuten von den ehemaligen Stadtzentren West- und Ostberlins entfernt, geniesst dabei aber die Privilegien einer grünen und ruhigen Umgebung.

Das Hansaviertel wurde während der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1957 als Lehrstück moderner Stadtplanung gebaut und erlebt derzeit einen zweiten Frühling, denn eine neue Generation von Architekten und Designliebhabern hat die Schönheit der abwechslungsreichen Wohnbauten wiederentdeckt. Berühmte internationale Architekten trugen in den 1950er-Jahren zur Entstehung des neuen Stadtteils bei, der an Stelle des im Krieg beinahe komplett zerstörten alten Hansaviertels entstand. Unter dem Projektnamen „Interbau“ entwarfen moderne Baumeister wie Alvar Aalto, Arne Jacobsen, Egon Eiermann, Walter Gropius, Max Taut und Oscar Niemeyer mehr als 30 Gebäude, darunter Bungalows und Hochhäuser, Atriumbauten und Mehrfamilienblöcke. Kein Wunder strebt die Stadt Berlin für dieses einzigartige Ensemble der Nachkriegsmoderne den Status als UNESCO Weltkulturerbe an.

Karen und Klaus Romberg, die in Berlin zusammen das Büro a-base büro für architektur gemeinam mit ihrem Partner Michael Sehmsdorf führen, konnten vor einigen Jahren zwei Wohneinheiten im brasilianischen Beitrag erwerben, einem achtgeschossigen Gebäude von Oscar Niemeyer, das ursprünglich 78 gleichwertige Sozialwohnungen enthielt. Als einer der Mieter auszog, ergriff das Paar die Gelegenheit, um die Wohnung nach den eigenen Vorstellungen zu renovieren „und vom Eierlöffel bis zum Bodenbelag alles aus einem Guss zu gestalten“. […]

Das Layout der Wohnung erwies sich dabei als nicht mehr sehr aktuell. Da nicht einmal Niemeyer selbst mit den bauzeitlichen Grundrissen einverstanden gewesen war, weil er erhebliche Zugeständnisse an die Vorschriften des Sozialwohnungsbaus der 50er-Jahre hatte machen müssen, bot es sich an, die Wohnung zu entkernen und ein luftiges, zeitgemäßes Apartment zu schaffen. „Die Schottenbauweise bestätigte sich dabei als sehr nachhaltig“, erläutern die Architekten. „Es war kein Eingriff in das statische System notwendig. Der Grundriss konnte 50 Jahre nach Fertigstellung des Baus frei und flexibel umgestaltet werden.“ Die Wohnung besteht heute aus zwei Teilen. Der öffentliche Bereich zur Strasse hin umfasst Küche, Wohn- und Essraum sowie eine grosszügige Terrasse. Im hinteren Teil des Apartments befinden sich zwei Schlafräume mit separaten Bädern. Eines der Schlafzimmer dient – wenn nicht in Gebrauch – als Arbeitszimmer mit Wohnlounge. Raumhohe Schiebetüren erlauben eine flexible Nutzung der verschiedenen Bereiche.

„Wir wollten eine authentische, aber zeitgemässe Mid-century-Atmosphäre schaffen“, so Klaus Romberg, „mit luxuriösen, aber keinen protzigen Materialien und Mobiliar.“ Für das Suchen und Finden der passenden Möbelstücke und Accessoires haben die beiden keine Mühen gescheut. Sie klapperten nicht nur Trödler und Vintagehändler ab und stöberten auf entsprechenden Internetseiten, sondern durchforsteten auch die Häuser der eigenen Familien. „Der Kapselheber des Vaters liegt nun in der Schublade, und der WMF-Aschenbecher, der zu Hause in Hamburg bei den Skatabenden mit den väterlichen Freunden genutzt wurde, lädt zum Rauchen auf der Loggia ein“, lacht Karen. Ihr Lieblingsobjekt ist allerdings ein Sessel von Herbert Hirche, der nicht nur Professor an der Kunstakademie Stuttgart war, wo sie selbst studierte, sondern der dieses Stück spezifisch für ein Haus im Hansaviertel entworfen hatte. „Wir haben es sozusagen nach Hause geholt“, freut sich die Architektin.

Im Frühling 2013 war der Umbau abgeschlossen und das Apartment im 21. Jahrhundert angekommen, ohne seine Herkunft verleugnen zu müssen. „Die neue Großzügigkeit tut ihm gut“, sagt Klaus. „Aus der einstigen beengten 4-Zimmer-Sozialbau-Wohnung wurde ein zeitgemässes, modernes Apartment. Vom Hansaplatz auf der einen zu der Offenheit des Tiergartens auf der anderen Seite durchwohnt man das Gebäude nun, ganz wie es Oscar Niemeyer gewollt hätte.“ Das Architektenpaar taufte die Wohnung auf den Namen RioMarie – „Rio“ zu Ehren von Niemeyers Heimatstadt und „Marie“ für Karens Mutter, die Berlin und das Hansaviertel in den frühen 60er-Jahren besucht hatte – ein verblichener Schnappschuss der Reise ziert, auf Leinwand gedruckt, nun eine Wand des Apartments.

Mirko Beetschen für Das Ideale Heim, Archithema Verlag, CH

(siehe auch Urlaubsarchitektur)

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